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Ungleiche Kindergartengebühren
von Stefan Sauer, 18.03.08, 17:44h
Berlin – Der Riss verläuft kreuz und quer durchs Land, besonders tief ist er am Neckar. In Heilbronn haben Familien mit Nachwuchs im Kindergartenalter gut lachen, denn sie zahlen unabhängig vom Einkommen keinen Cent für eine Halbtagsbetreuung. Den Fluss hinauf, 70 Kilometer weiter südlich, ächzen Tübinger Eltern mit zwei Kindern unter jährlichen Kindergartengebühren von bis zu 3.552 Euro. Die Nachbarstädte sind ein Beispiel für „gigantische Gerechtigkeitslücken“, die sich bei den Kindergartengebühren auftun. Eklatante Unterschiede gebe es in allen Regionen Deutschlands, sagte die Chefredakteurin der Zeitschrift „Eltern“, Marie-Luise Lewicki. Die Kölner IW Consult hat im Auftrag von „Eltern“ und der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) die Kindergartengebühren in den 100 größten deutschen Städten ermittelt.
Dabei wurde die Gebührenbelastung für Familien mit einem jährlichen Haushalts-Brutto von 25.000 Euro, 45.000 Euro und 80.000 Euro ermittelt, jeweils für ein Kind im Alter von vier sowie für zwei Kinder im Alter von dreihalb und fünfeinhalb Jahren. Dabei stießen die Experten auf kaum durchschaubare und unterschiedliche Berechnungsgrundlagen. Schon der Versuch, eine Städte-Rangliste zu erstellen, wird so unmöglich – mit einer Ausnahme: Als einzige deutsche Großstadt bietet Heilbronn den dreijährigen Kindergartenbesuch für alle gebührenfrei an.
Ansonsten aber herrscht ein Wust an kommunalen Sonderwegen, wie ein Vergleich der Städte Köln und Halle zeigt. In Köln steigen die Gebühren mit dem Haushaltseinkommen kräftig an, wobei ein zweites Kind im Kindergarten die Höhe kaum beeinflusst: Mit 25.000 Euro Einkommen beträgt die Jahresgebühr für ein Kind 303, für zwei Kinder 313 Euro; bei 45.000 Euro steigt der Satz auf 943 Euro (für ein wie für zwei Kinder). Wer 80.000 Euro verdient, zahlt 1.980 Euro. In Halle spielt das Einkommen keine Rolle, dafür aber die Zahl der betreuten Kinder: Für ein Kind liegt die Jahresgebühr bei 600, für zwei Kinder bei 1.000 Euro.
In anderen Städten wiederum sinkt die Gebührenbelastung sogar, sobald ein zweites Kind in den Kindergarten geht. Ein Beispiel bietet Lübeck: Geringverdiener mit 25.000 Euro Jahreseinkommen zahlen für ein Kind die Spitzengebühr von 1.692 Euro im Jahr. Schickt diese Lübecker Familie nun ein zweites Kind in den Kindergarten, sinkt die Gesamtgebühr auf 396 Euro. Die bizarre Situation verweist auf die Bedarfsuntergrenze in Höhe des Hartz-IV-Niveaus, unterhalb derer nirgendwo Gebühren zu zahlen. So zahlt auch die Lübecker Ein-Kindfamilie mit 24.500 Euro Jahreseinkommen (statt 25.000 Euro) nichts mehr für den Kindergarten. Generelle Aussagen der Studie: Die Kostenbelastung liegt in Süddeutschland niedriger als im Norden. In Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, dem Saarland, Berlin und Hessen ist das letzte Kindergartenjahr generell gebührenfrei. In NRW werden Gutverdiener besonders hoch belastet. Finanzstarke Kommunen erheben oft geringere Gebühren als finanzschwache, wo kostenlose Betreuung als frühkindliches Bildungsangebot am dringlichsten wäre. Dagegen zahlt die reiche Gemeinde Grünwald südlich von München der IW Consult zufolge für jedes Kind noch 100 Euro oben drauf.
INSM-Geschäftsführer Max Höfer fordert von daher flächendeckend gebührenfreie Kindergärten, sofern diese ihren Bildungsauftrag nachweislich erfüllen. Zur Finan zierung könnten Mittel aus der Umsatzsteuer in einen Länderfonds fließen, der die Gebührenausfälle ausgleiche.
Wir danken Herrn Oehler und Frau Enseling vom Kölner Stadt-Anzeiger für die Erlaubnis, den Artikel hier vollständig wiedergeben zu dürfen.
Die Originalversion finden Sie auf den Seiten des Kölner Stadt-Anzeiger.